Das Summen der Flugzeuge durchdringt die Turnhalle. Die ersten Bomben fallen. Eine Feuersäule breitet sich aus. Fassungslos starren die Menschen auf die Stelle, wo eben noch ein Haus stand. Es ist Krieg – in Köln im Jahr 1942. Die Schüler der Bruno-Lorenzen-Schule sind live dabei – so live wie es eben 79 Jahre später sein kann – in einer „augmented reality“. „Es fühlt sich sehr echt an“, sagt Jin Brahim. „Mich hat es sehr berührt, gemeinsam mit der Augenzeugin zusammen eine Nacht in einem Bunker zu erleben“ – und zwar mitten am Vormittag im Weltkundeunterricht.
Praktisch funktionierte es so: An der Bruno wurden 21 Ipads angeschafft, auf denen die WDR App „AR 1933-1945“ installiert ist. Lädt man sich die Filme herunter, „sitzt“ der Zeitzeuge von damals mitten im Klassenraum und erzählt seine Geschichte. Um ihn herum entstehen in 3D Luftschutzkeller, fliegen Bomber, sprühen Funken, zerfällt eine Welt in Trümmer. „Man ist ganz nahe, fast kann man die Menschen anfassen“, beobachtete Melanie Müller (15). „So könnte man nie Geschichte in einem Buch erleben“, ist Sophia Gross (15) beeindruckt. „Es ist fast real“, bestärkt Mitschüler Leon Huper (15). Alle Schüler nehmen am bilingualem Weltkundeunterricht der Bruno teil und durften als erste den digitalen Perspektivwechsel erleben. „Für die Schüler ist es ein sehr spannendes Medium. Ihre Wahrnehmung wird für die Vergangenheit ganz anders geschärft als es mit normalen Filmen oder auch Textquellen möglich ist“, meint Geschichtslehrerin Gwendolin Jung, die den Kurs leitet. Gemeinsam mit ihrem Informatik-Kollegen Fabian Walter hat sie das Medium in das Thema „Zweiter Weltkrieg“ eingebaut. „Es ist keine virtual reality“, erläutert Walter. „Man agiert nicht mit den Protagonisten im Film, sondern kann ihnen über die Schulter schauen und so in ihre Welt eintauchen. Dies erzeugt ein intensives Lernerlebnis.“
So wie die Bili-Schüler im Weltkundeunterricht Geschichte lebendig werden ließen, eigne sich die „augmented reality“, zu Deutsch „erweiterte Realität“, auch für andere Fächer: „Ich kann mir gut vorstellen, dass auf diese Weise ein Australier mir so seinen Kontinent in Englisch vorstellen könnte“, sagt Lilly Szymetzko. „Oder ein Buddhist lässt mich an seinem Glauben teilhaben“, ergänzt Leon Huper. Oder ein für den Klassenraum zu gefährliches Chemie-Experiment kann nahezu live erlebt werden. „Es ist ein spannendes Medium, das im Unterricht der Zukunft sicherlich noch oft zum Einsatz kommen wird“, sind sich beide Lehrkräfte sicher. „Ich hatte das Gefühl, die Vergangenheit ist plötzlich ganz nahegekommen“, resümiert Jin – und gleichzeitig hat sich die Zukunft an der Bruno etabliert.
Stand: 01.01.2022