„Ihr tragt nicht die Verantwortung für das, was damals passiert ist. Aber ihr tragt heute eine Verantwortung.“ Ganz direkt sprach Ivar Buterfas-Frankenthal die rund 500 Schülerinnen und Schüler an. Zwei Stunden lang berichtete der 90-Jährige gemeinsam mit seiner Frau von seiner Kindheit während des Nationalsozialismus. Es waren höchst emotionale Momente, in denen man eine Stecknadel hätte fallen hören können, so gebannt lauschten die Jugendlichen dem faszinierenden Zeitzeugen. Dass die Schüler des zehnten Jahrgang der Bruno sowie Gäste von der Lornsenschule, Domschule sowie Dannewerkschule ein vorbildliches Publikum waren, bescheinigte Buterfas-Frankenthal den Zuschauern am Ende. Sie hätten ihm respektvoll zugehört und sich dem ernsten Thema angemessen verhalten. „Nehmt viel mit. Ihr sollt nicht jeden Tag über diese schreckliche Zeit reden, aber immer wieder. Ihr dürft nicht vergessen, was damals passiert ist.“
Er selbst werde das Trauma, das er als Sohn eines Juden im Nationalsozialismus durchmachen werde, nie überwinden. Für ihn sei die Kindheit mit sechs Jahren beendet gewesen. Damals, wenige Wochen nach seiner Einschulung in Hamburg, wurde er bei einem Appell vor der gesamten Schülerschaft vom Rektor der Schule verwiesen. „Dein jüdischer Atem wird nie wieder diese Räume verpesten“, habe er zu hören bekommen. Auf dem Weg nach Hause hätten ihn dann Hitlerjungen übel zugerichtet. „Ich wusste als kleiner Junge gar nicht, was da passierte, nur dass es etwas ganz Schlimmes war.“
Kurze Zeit später tauchte seine Mutter, die sich von ihrem jüdischen Mann nicht scheiden lassen wollte, mit Ivar und seinen sieben Geschwistern unter. Im Kellerversteck überlebte die große Familie das Dritte Reich. Und dass, obwohl sie immer wieder von Verrat und Verhungern bedroht waren. Wie er diese Zeit überlebt habe, wollte ein Schüler wissen. „Dank meines ältesten Bruders. Er hat jeden Tag mit mir gelernt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.“ Denn in eine Schule ist er nie wieder gegangen. „Mehr kann man einem Kind kaum nehmen.“
„Getanzt und gejubelt haben wir als der Krieg beendet war.“ Obwohl er so viel Schlimmes erlebt hatte, blieb er in Deutschland, lernte seine Frau Dagmar kennen und wurde Unternehmer in Hamburg. Auf die Frage, wie er verzeihen konnte, antwortete er: „Ich lerne immer wieder auch ein anderes Deutschland kennen, auch heute bei euch.“ Es freue ihn sehr, dass aus dem zerstörten Land inzwischen eine weltoffene Gesellschaft hervorgegangen ist. Doch mahnte er eindringlich, heutigen Extremisten entgegenzuwirken. Er erinnerte, dass es auch in jüngster Vergangenheit Judenfeindlichkeit gegeben habe und immer noch gibt. „Das lässt sich wohl nie aus der Welt schaffen. Nur mit Respekt voreinander könne man friedlich zusammenleben. „Lasst euch niemals mit Neonazis ein!“ Seine Vorträge, die er seit 30 Jahren hält, tragen sicherlich dazu bei; der in Schleswig war seine 1606. Veranstaltung, 40 weitere sind bis Jahresende noch geplant. Im Januar wird er dann 91 Jahre alt.
Zum Abschluss stellten zahlreiche Schüler noch Fragen, die Buterfas-Frankenthal mit viel Geduld, Zugewandtheit und Freundlichkeit beantwortete. Erst nach zwei Stunden war die Veranstaltung beendet – und kein einziger sprang ungeduldig auf und stürmte sofort aus der Turnhalle. Eine beeindruckende emotionale Geschichtsstunde, die wohl keiner vergessen wird.
P.S. Seine Erinnerungen hat Ivar Buterfas-Frankenthal gemeinsam mit seiner Frau Dagmar in vier Büchern aufgeschrieben. Das neueste heißt „Von ganz, ganz unten.“